Das Innere der Kirche
Durch das unscheinbare Westportal (1) betritt der Besucher eine dreischiffige, zweijochige, gewölbte kryptenartige Erdgeschosshalle in Mittelschiffbreite (B), die — nach Grabungsbefunden — zuerst vierjochig war, dann bis 1856 noch dreijochig. Über ihr
erhebt sich die steinerne Nonnenempore (K), im Volksmund „Freileinschor“ genannt. Ihre mittleren Gurte sind rundbogig, während die engere Spannung der seitlichen den Spitzbogen erforderte. Im nördlichen Seitenschiff (C), wo die Empore bis 1856 weit vorgeschoben war, ruhen ihre Gewölbe auf Pilastern und Ecksäulchen. Der Blick geht in das dreijochige Langhaus (B), dessen dreischiffige Stufenhalle neben St. Servatii zu Münster, der Pfarrkirche zu Legden und St. Johannes in Billerbeck den reinsten Typ dieser spätromanischen Bauform im Münsterland darstellt. Kennzeichnend ist für ihn die Beibehaltung des Grundrisses gebundener Ordnung, bei dem mittels einer Zwischenstütze in Form eines schlichten Pfeilers auf ein quadratisches Mittelschiffjoch (B) zwei Gewölbejoche in jedem Seitenschiff (C+D) entfallen. Dieser einfache Stützenwechsel ermöglicht die genaue Datierung des Langhauses (B): In der zweiten Hälfte des 10. Jh. tritt er in Gernrode und im Dom zu Halberstadt auf, erfährt im Laufe des 11. und 12. Jh. in Sachsen weite Verbreitung und kommt schließlich bis zum dritten Drittel des 20. Jh. auch in Westfalen vor. Da nun die Seite eines Mittelschiffjochs (8) doppelt so lang ist wie die eines Seitenschiffjochs (C÷D), steigt das Gewölbe des ersteren entsprechend höher an. Dieser Stufung der Gewölbe entspricht am Außenbau die Stufung der Dächer von Haupt- (B) und Seitenschiffen (C+D) mit dem Bogenfries an der schmalen Mittelschifffiochmauer. Die östlichen Joche der Seitenschiffe (C+D) sind um eine Gurtbreite verlängert, während schmale Zwischenjoche im Westen die Verbindung zu den Türmen (E+F) bilden. Den Raumeindruck beherrschen die Domikalgewölbe mit eckig unterlegten Rundstabrippen, erheben sie sich doch weit über Pfeilerhöhe über den Kämpfern; das Verhältnis von Pfeiler- zu Gewölbehöhe ist
ca. 1:1,5. Die zierliche Profilierung der Kreuzrippen in den Mittelschiffgewölben (B) hebt sich von den schlichten Kreuzrippen der Seitenschiffe (C+D) ab.
Die reichste Gestaltung zeigt hingegen der jüngste Bauteil der Kirche, der Chor (A). Über einem wiederum quadratischen Grundriss trägt er acht unterlegte dreiteilige Rippenbündel in den Diagonal- und Scheitellinien. Sie treffen sich in einem weiten Schlussring (4), über den eine Kalotte aus Backsteinen gewölbt ist, in welche die Rippen fortgeführt werden, um im Schlussstein zusammenzulaufen. Dieser Abschluss des Chorgewölbes (A) ist einmalig in Westfalen und weist auf rheinische Bauten hin, während die Zierscheiben der Gewölberippen und des Schlussrings eine Verbindung zur Bauhütte des münsterischen Domes wahrscheinlich machen. Die östliche Chorwand ist — dem Typ der münsterländischen Hallen entsprechend — gerade geschlossen und ohne Seitenapsiden. Im unteren Teil zeigt sie durch vier Spitzbögen geschlossene Sitznischen, denen in der nördlichen und südlichen Chorwand jeweils fünf Nischen entsprechen. Über deren Arkaden ziehen sich Gurtgesimse mit je sieben Kopfmasken hin. Darüber sind an der südlichen Wand zwei Rundbogenfenster, die bei den Renovierungsarbeiten 1957—1961 freigelegt wurden. An der Nordwand ist vor einem vermauerten romanischen Fenster das repräsentative Epitaph (5) der Äbtissin Cornelia Anna Freiin Droste zu Vischering (1688—1733).
Am beachtlichsten ist indessen das spätromanische, im Zusammenhang wie ein Fries erscheinende Kapitelldekor der östlichen Halbpfeilerbündel, dessen vorzügliche Arbeit Parallelen in der Vredener Stifiskirche besaß und wie sie auf die spätromanische Bauornamentik des Rheinlandes zurückzuführen ist. Wenn der Kirchenbau dem Menschen der Romanik Gottesburg ist — jede Kirche ist dem Mittelalter die geistige Kirche als Ganzes — so gipfelt seine Symbolik im Chorraum (A) als dem Bild des himmlischen Jerusalem. So sehen wir am nordöstlichen Kapitellfries (6) — vor den ihn umgebenden Heiligen und größer als sie dargestellt — Christus als jugendlichen Herrn und Sieger, die Rechte in segnender Gebärde erhoben. Vom Sonnenaufgang her, der Licht, Leben und Wärme bringt, blickt er zur Mitte des Altarraumes. Gleichfalls aus Osten kommt der Engel, der „das Siegel des lebendigen Gottes hat“ und „die Knechte unseres Gottes“ dem, „der auf dem Thron sitzt“, zuführt (Offb 7,2.3.10). Er kommt aus dem Paradies, der Stätte der Seligen.
Wie schon auf Katakombenmalereien ist dessen erquickende Herrlichkeit auch hier versinnbildlicht durch die uralte Lebensbaumsymbolik der Palmblätter, die überreiche Früchte tragen, sichtbare Zeichen göttlichen Segens: „Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht.“ (Oftb 2,7) — Früchte „der Gerechtigkeit, die Jesus Christus gibt, zur Ehre und zum Lob Gottes“ (Phil 1,11). Unter dem schützenden Dach dieser Palmblätter und zwischen den Trauben des Weinstocks, der da ist Christus (Joh 15,5), erfreuen sich die Stammväter des auserwählten Volkes der Gemeinschaft mit Gott: „Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen“ (Mt 8,11). Dunkel ist die Symbolik des Vogels, dessen Vorderleib etwas unorganisch in die südöstliche Ecke des Frieses (7) eingefügt zu sein scheint. Ist er der Wärter der Wahrheit, der unerreichbare, dem Irdischen entrückte Selige — oder gestaltete der Steinmetz in ihm einen Raben, in dem die Kirchenväter das Symbol der Sünder und einen Hinweis auf den Tod sahen? Nur widerstrebend scheint er sich dem Zentrum des Chors, dem Altar, entgegenzubeugen. Ist die Kugel, die er mit seiner Klaue umklammert, ein Symbol des Sündenapfels? In seinem Rücken erscheint hinter einem Akanthusblatt die Büste einer Frau, die als einzige der Kapitellfiguren weder Krone noch Nimbus trägt. Offensichtlich ist es Eva, in ihrer Rechten einen verdorrten Ast und in der Linken den Apfel der Sünde erhebend. Drei Harpyien setzen den Fries fort. Aus der sich nun anschließenden Reihe gekrönter Frauengestalten — Symbole der theologischen Tugenden Glaube und Hoffnung — sowie gewappneter Ritter hebt sich am Ende dieses Kapitells durch seine Größe und durch die Zier der Rüstung wie der Krone eine Gestalt hervor, deren weibliche Nebenfigur auf den ersten Blick stark beschädigt erscheint, jedoch wohl unvollendet ist. Ihre Linke deutet übergroß auf die dominierende Figur des Fürsten. Eingerahmt von Blattwerk, Ranken und Früchten, dürfen wir in ihnen König Arnolf mit seiner Gemahlin vermuten, der die Gründung des Klosters Metelen mit seinem Siegel bestätigte. Auf die besondere Bedeutung dieses Paares weist auch das Blattdekor der Kapitelibasis unter ihm hin, das sich sonst im Chor und in der Kirche nirgends findet. So bieten die östlichen Kapitelle des Chors ein reiches Bild der himmlischen Herrlichkeit. Umrahmt von der Paradiessymholik blühender und fruchttragender Bäume sehen wir Oranten, Märtyrer, Fürsten und Ritter in der „Rüstung Gottes, gegürtet mit Wahrheit, im Panzer der Gerechtigkeit, mit dem Schild des Glaubens, dem Helm des Heils und dem Schwert des Geistes, dem Wort Gottes“ (Eph 6,13—17). In offenbarem Gegensatz hierzu stehen die fünf Harpyien am südwestlichen Chorkapitell (8). Von Süden her, der Himmelsrichtung der Wärme und des Lichtes, laufen sie gegen Westen, sind also dem Untergang und der Nacht zugewandt. Um ihre Häupter ist das Tuch der Nonnentracht gebunden, nur die mittlere trägt eine Krone. — Das Kapitell des nordwestlichen Chorpfeilers(9) ist nicht figürlich ausgearbeitet, sondern mit Stielpalmetten verziert. In den nordöstlichen Pilaster wurde 1987 das Tabernakel eingebaut, an dessen Stelle sich noch Ende des 19. Jh. ein spätgotisches Sakramentshäuschen befand, dessen Verbleib ungeklärt ist.
Die Symbolik des Chorraumes wurde hei der Renovierung der Kirche 1992 ergänzt und überhöht durch die Öffnung des Rosenfensters (10) in der östlichen Chorwand. Joachim Klos aus Nettetal gestaltete die sieben Felder mit den zentralen Themen der Offenbarung des Johannes. In der Mitte das Bild des Lammes, um das sich seitlich die vier lebenden Wesen gruppieren: Löwe, Stier, Mensch und Adler (auch Symbole der Evangelisten). In Ergänzung dieser Rose, die Gottes Herrlichkeit — Majestät und Liebe — sinnbildhaft darstellt, entwarf Joachim Klos 1993 anbetende Engel für die beiden Fenster in der südlichen Chor wand. Auf der Fläche unter diesen Fenstern hat das kostbarste Kunstwerk unserer Kirche Platz gefunden: ein feingliedriger, fast lehensgroßer Kruzifixus (11) aus Holz, der noch Spuren der farblichen Originalfassung zeigt. Diese Arbeit des späten 11. oder frühen 12. Jh. — die Arme wurden um 1950 vom Telgter Künstler Hans Dinnendahl(1901—1966) ergänzt — ist in der Nachfolge spätromanischer Kreuze vom Typ Benninghausen anzusiedeln. Der Körper des Gekreuzigten steht aufrecht vor dem Kreuz. Die leichte Schwingung des Leibes und der Arme erweckt beinahe den Eindruck eines Schwebens. Hände und Kopf neigen sich dem betenden Betrachter in segnender Gebärde zu. Der Ausdruck des Leidens ist auf das Gesicht konzentriert, als solle damit angedeutet werden, dass der innere Schmerz weit schwerer wiegt als die körperliche Pein.
Es ist das Antlitz eines hoheitsvollen Christus, tief durchdrungen von dem Leid, dem er sich zum Opfer bringt. Kein Zug von Resignation ist in ihm zu finden, vielmehr scheint der Blick unter halb geschlossenen Lidern der Verheißung des Ostermorgens entgegenzusehen: „Was könnte wunderbarer sein, als dass aus Schuld nun Gnade wird, dass Liebe von der Furcht befreit und Tod das neue Leben schenkt?“ (Aus einem Osterhymnus zur Laudes). 1987 wurde ein moderner bronzener Ambo durch einen Sandsteinambo in Form einer romanischen Säule ersetzt, und zwei gotisierende Leuchter wurden angeschafft. Die Mitte des Chors (A) nimmt der steinerne Altar mit einem Relief der Opferung Isaaks ein, flankiert von Reliquien der Stiftspatrone Cornelius und Cyprian — direkt unter dem Schlussstein (4) mit plastischem Christushaupt.
O König aller Völker,
ihre Erwartung und Sehnsucht,
Schlussstein, der den Bau zusammenhält,
o komm und errette den Menschen,
den du aus Erde gebildet!(Magnificat-Antiphon der Vesper vom 22. Dezember)